prof. Miloslav Starosta (VŠMU Bratislava)
Studienjahre und Lehrtätigkeit
Die Entwicklung des Talents von Johann Nepomuk Hummel wurde von mehreren
bedeutenden Persönlichkeiten des Musiklebens auf das Glücklichste gelenkt: Schon
im frühen Alter von seinem Vater, selbst einem ausgezeichneten Musiker, eine
kurze Zeit lang von Franz Paul Riegler, einem bedeutenden Wiener Pianisten und
Pädagogen an der Nationalen Oberschule in Pressburg. In Wien wuchs der
junge Johann Nepomuk Hummel in den Jahren 1786-1788 unter dem außerordentlich
günstigen künstlerischen Einfluss von Wolfgang Amadeus Mozart heran. Kurze Zeit
später befand er sich in London, so dass ein deutlicher Einfluss von Muzio
Clementi ebenfalls nicht ausgeschlossen werden kann. Nach der Rückkehr von den
durch Mozart inspirierten ersten Konzertreisen setzte er, bereits nach dessenTod,
ab dem Jahr 1793 sein Studium bei Johann Georg Albrechtsberger und bei Antonio
Salieri fort. Die Einflüsse von Mozart und
Clementi sind sehr interessant. Die Faktur und Form seiner ersten Kompositionen
sind noch vom Wiener und Mozartschen Klassizismus geprägt, späterer technischer
Wagemut verweist auch auf Clementis Prägung.
Nach der Zeit seines künstlerischen Wirkens in Eisenstadt widmete sich
Hummel während seines Wiener
Aufenthaltes (34 Jahre lang) nur dem Komponieren und dem Klavierunterricht. Laut
eigenen Erinnerungen unterrichtete er täglich neun bis zehn Schüler. Bei dieser
Zeitbelastung begann sein Arbeitstag bereits um vier Uhr früh mit Komponieren. Sein
Ruf als Pianist und Komponist breitete sich sehr schnell nach Deutschland und
Frankreich aus. Am Konservatorium in Paris führte Luigi Cherubini Hummels Große
Phantasie op. 18 auf. Sie war Hummels erste Komposition, die in Frankreich
erklang.
Den künstlerischen Ruf ihres Meisters verbreiteten auch seine
ausgezeichneten Schüler in mehreren europäischen Ländern. Zu den bedeutendsten
gehörten Ferdinand Hiller, bekannter Pianist, Dirigent und Pädagoge, der in
Deutschland wirkte; Adolf Henselt, genannt auch der „deutsche Chopin“, er wirkte
in Deutschland und später ab dem Jahr 1838 lange Zeit in Russland. Weiter waren
es Karl Eduard Hartknoch, Hermann Schornstein, Rudolf Willmers in Wien, Julius
Benedict und Karl Mangold in London, die Neffen von Hummel - August und Eduard
Röckel, Edward Hodges, Giuseppe Unia, Vinzens Hauck und weitere. In den Jahren 1801 und 1804 besuchte Hummel die samstäglichen
Soireen bei Mozarts Witwe Constanze Weber. Er unterrichtete auch den letzten
Sohn von Mozart, Franz Xaver im Klavierspiel. Erst in den letzten acht Jahren
seines Lebens beschränkte er sich auf das Unterrichten einer kleineren Anzahl
von Schülern. Nach Meinung Hillers konzentrierte sich Hummel als Klavierpädagoge
auf Qualitäten wie die Gesangsqualität melodischer Linien, die Grundsätze eines
guten und verlässlichen Fingersatzes und die Klarheit im Spiel. Neben seinen
pädagogischen Qualitäten im Fach Klavier schätzte Hiller vor allem Hummels
Fähigkeiten als Kompositionslehrer. Hummels Schüler zu sein war eine besondere
Ehre.
Große
Klavierschule
Die vielseitige künstlerische Tätigkeit von Johann Nepomuk Hummel hinterließ
ihre deutlichen Spuren auch in der europäischen Geschichte der Klavierpädagogik.
Sein pädagogisches Wirken wuchs aus dieser Vielseitigkeit und fand seinen
Höhepunkt in der dreiteiligen Großen Klavierschule, an der er fünf Jahre
arbeitete. Ihr vollständiger Titel lautet: „Ausführliche
theoretisch-praktische Anweisung zum Piano-Forte-Spiel, vom ersten
Elementar-Unterricht an bis zur vollkommensten Ausbildung“. Nach dem
Vorbild der damaligen umfassenden Lehr-Traktate beinhaltet sie einen
gründlichen und verständlich verfassten theoretischen Teil, ergänzt durch
zweitausend Notenbeispiele und Übungen. Es ist das Werk eines reifen Meister
der Komposition und des Dirigierens, mit außergewöhnlichen künstlerischen
Erfahrungen als Konzertpianist, Improvisator sowie Pädagoge. Die künstlerische
Universalität charakterisiert und unterscheidet dieses Werk Hummels von seinen
zeitgenössischen Vorbildern.
Die Analyse der wissenschaftlichen Komponente des Textes enthüllt zwar
mögliche Einflüsse bedeutende Vorgänger und Zeitgenossen. Es geht darin jedoch
nicht nur um die prägnante Formulierung und Entwicklung mehrerer pädagogischer
Prinzipien der Wiener Klavierschule aus der Zeit von Haydn und Mozart, sondern
auch um eine Reflexion von ungewöhnlichem Umfang und die Entwicklung einer
breiteren künstlerischen Erfahrung des Autors. Die Schule erschien in Wien im
Jahr 1828, in
Paris im Jahr 1838 unter dem Titel Méthode compléte théorique et pratique
pour le pianoforte. Die englischen, italienischen und spanischen (1835) Ausgaben
trugen zur europäischen Ausbreitung des Werkes bei.
Bevor wir seinen Beitrag kurz erläutern, widmen wir einen Blick der
damaligen Geschichte des Klavierspiels und der Entwicklung der Klavierpädagogik.
Um die Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jahrhundert rief das Pianoforte oder Hammerklavier
als ein relativ junges Instrument, das schließlich das Cembalo verdrängte, Enthusiasmus
und Interesse an seiner Beherrschung, aber gleichzeitig auch einen zwingenden
Bedarf an effizienten pädagogischen Methoden hervor. Es tauchten erste Schulen
auf, die mit der Begründung einer Technik des modernen Spiels Grundsätze
formulierten, von denen viele ihren Wert bis heute behalten haben. Seit geraumer
Zeit sind wir Zeugen einer Rückkehr zur Interpretation auf dem authentischen Pianoforte
und weiteren historischen Instrumenten. Keiner ist heute erstaunt, wenn die
Musik von Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert oder Chopin auf diesen Instrumenten
gespielt und aufgenommen wird, die mit den Epochen der Entstehung ihrer Musik
näher zusammenhängen. Obwohl die Erfindung von Bartolomeo Cristofori bereits
vom Anfang des 18. Jahrhunderts stammt, vollzieht sich ihre technische Vervollkommnung
und vor allem wesentliche Nutzung im Zeitraum der letzten zwei Jahrhunderte. Seit
ihrer Entstehung erlebten sie viele Transformationen seitens der
Instrumentenbauer.
Ebenso schufen Musiker pädagogische Methoden, deren Anzahl und Ambitionen
ständig wuchsen. Das große Interesse am Klavierspiel hing mit mehreren
Umständen zusammen. An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert stieg vor allem die
Zahl von Amateuren sprunghaft an, die sich dem Klavierspiel widmeten, und die vielseitigen
Einsatzmöglichkeiten diese Instrumentes bewunderten, die den Vortrag eines
reichhaltigen und vielfältigen Repertoires ermöglichten. Es gab nur wenige
bürgerliche Salons, die mit diesem Instrument nicht ausgeschmückt wären.
Die ersten pädagogischen Werke boten ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
relativ limitierte Ansichten zur eigentlichen Technik des Instrumentenspiels, darüberhinaus
waren sie im Sinne der damaligen Tradition dem Cembalo und dem Pianoforte
gewidmet. Spezifische Probleme von Tonbildung, Ausdruck, Phrasierung und
weitere grundlegende Kenntnisse über das Hammerklavier tauchten nur allmählich auf.
Die ersten Schulen waren eher umfangreiche, oftmals sorgfältige
Lehrbücher; sie beinhalteten die Grundlagen der zeitgenössischen Ästhetik, des Solfeggio
und des Instrumentalspiels, die alle Musiker kennen sollten.
Erst nach dem Jahr 1795 tauchten die ersten wirklich spezifischen Schulen
für das Pianoforte auf. Jean-Luis Adam,
Autor der bedeutenden Schule Méthode de pianoforte du Conservatoire de
Musique, herausgegeben im Jahr 1802 in Paris, nahm voller Hoffnung an, das „einmal in der Zukunft eine große Entwicklung
der künstlerischen Kräfte, der Jahre hindurch erniedrigten Interpretationsmittel
eintritt und dass die Spieler von Pianos, welche bis dahin nur als brillante
Instrumente bewertet wurden, eines Tagen die Zeiten bereuen werden, als sie
sich einseitig nur der mechanischen Arbeit widmeten“. Er empfahl gleichwohl
das Studium von Partituren der größten Meister, als ausgezeichneter Vorbilder.
Jedes pädagogische Werk widmete in der Regel eine
beträchtliche Aufmerksamkeit den Grundregeln eines zweckmäßigen Fingersatzes,
welche auch die Einübung der Tonleiter betrafen. Johann Nepomuk Hummel widmete diesen Fragen viel Aufmerksamkeit im
zweiten Teil seiner Schule. Er hielt „den
Daumen für den wichtigsten Finger, den Stützpunkt, um den sich die anderen
Finger mit der größten Leichtigkeit bewegen“, für eine Rotationsachse, einen
Mechanismus, dessen Entwicklung sich auch die Werke weiterer führender
Pianospieler widmeten. Den geeigneten Fingersatz hielten sie für die Grundlage
einer jeden Interpretation, mit der auch eine sinnvolle Phrasierung fest
verbunden war. Die Qualitäten der Tonbildung am Pianoforte verbanden sich mit
dem zweckmäßigen Einsatz der einzelnen Finger. Diese Ideen hingen auch mit der
Kenntnis des vielgliedrigen „Territoriums“ der Klaviatur in Tonarten mit einer
höheren Anzahl von Vorzeichen zusammen, wobei in der Praxis eine bestimmte
Übereinstimmung der Meinungen über die Möglichkeit einer größeren Fingersatzvariabilität
in den einfacheren Tonarten herrschte. Hummels
Folgerungen in diesem Bereich waren sehr anregend. Sie wurden auch von Frederyk
Chopin hoch geschätzt und in seiner pädagogischen Praxis angewandt. Konkret übertrugen
sie sich auch auf seine Methode des Studiums von Tonleitern im Klavierspiel,
ausgehend von der höchsten Anzahl an Vorzeichen, die der Hand die besten
stützenden Punkte liefern.
Zum Abschluss dieses Teils führen wir kurz einige bedeutende zeitgenössische
Schulen der Zeit vor Hummel und unter seinen Zeitgenossen an, die vor allem als
gewichtige pädagogische Traktate für erfahrene Lehrer konzipiert waren. Zu ihnen
gehören:
Die Schule von Wilhelm Friedrich
Marpurg (1718-1795) Die Kunst das Clavier zu spielen (1750), sie wurde später als Anleitung zum Clavierspielen (Berlin,
1755) überarbeitet und erweitert.
Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788), Versuch über die
wahre Art das Clavier zu spielen mit Exempeln und achtzehn Probe-Stücken in
sechs Sonaten erleutert von C. Ph. Em. Bach (Berlin, 1753, 2. Band 1762).
In den Schulen
von Georg Simon Löhlein (1725-1781)
(die Schule erschien 1765) und Johann
Peter Milchmeyer (1750-1813) Die
wahre Art das Pianoforte zu spielen (erschien in Dresden 1797) kommen
bereits neue Ansichten über die Technik als einen selbständigen Bestandteil der
Lehre über das Klavierspiel vor.
Daniel Gottlob Türk (1756-1813) war Autor der umfangreichsten Klavierschule des 18. Jahrhunderts
Klavierschule, oder Anweisung zum
Klavierspielen für Lehrer und Lernende (Leipzig, Halle, Wien, 1789).
Franz Paul Riegler
(1748-1796), Hummels Lehrer, seine Schule mit dem Titel Anleitung zum Klavier für musikalische Lehrstunden erschien 1799 in Wien. Ihr Autor, gebürtig
in Wien, ausgezeichneter Klavierspieler und Sonatenkomponist, lehrte an der Nationalen
Oberschule in Pressburg.
Muzio Clementi (1756-1832)
gab 1801 The Introduction to the Art of
Playing on the Piano Forte heraus, er schuf auch weitere didaktische Werke.
Jean-Luis Adam (1758-1848)
war Autor der Klavierschule Méthode de pianoforte du Conservatoire de
Musique, herausgegeben 1802
in Paris.
Johann Nepomuk Hummel (1778-1837) schuf die Ausführliche theoretisch-praktische Anweisung zum Piano-Forte-Spiel,
vom ersten Elementar-Unterricht an bis zur vollkommensten Ausbildung (Wien,
1828).
Carl Czerny (1791–1857)
gab ein Jahr später seine 4-bändige Vollständige
theoretisch-practische Pianoforte-Schule... op. 500 (Wien, 1829) heraus.
Ignaz Moscheles
(1794-1870) und François Joseph Fétis
(1784-1871) sind Koautoren des pädagogischen Werkes Méthode des Méthodes (Die Methode der Methoden), das erstmalig im
Jahr 1837 in
Paris erschien.
Gliederung
der Schule Hummels, Einführung
Hummel, der mehrere bemerkenswerte Anregungen in die pädagogische Praxis brachte,
macht bereits in der Einführung zu seiner Großen Klavierschule (datiert in
Weimar 1827) auf den Unterschied zwischen den Qualitäten deutscher, englischer
und französischer Instrumente aufmerksam: „da
die deutschen (Wiener) Klaviere für alle Nuancen
des runden, flötenartigen Tons geeignet sind, muss man auf ihre Tasten nicht
mit dem Gewicht des Oberarms einwirken, die Tonstärke soll von der Flexibilität
der Finger ausgehen; dagegen ist die Mechanik der englischen Klaviere
schwieriger und somit weniger geeignet für Virtuosität, was auch für die
französischen Instrumente gilt.“ Die Grundsätze der Tonbildung verbanden Hummels
Zeitgenossen immer intensiver mit den Ausdrucksmitteln. Eine reichhaltige Skala
von Klangnuancen der Klavier-Tonbildung ging von der Variabilität des Kontakts der Finger (le toucher) und der
Einübung ihres Feingefühls aus.
Johann Nepomuk Hummel wertete das Pianoforte als ein vielseitiges
Instrument, das „auch ohne die Hilfe
anderer Instrumente fähig ist, eine vollständige Harmonie zu bilden“. Er
empfahl Auftritte von Schülern vor Zuhörern, damit sie üben, jedoch ohne
Nachdruck zur Interpretation von anspruchsvolleren Kompositionen fortschreiten
können. Hinter den praktischen Ratschlägen an Eltern und Schüler klingt der
außergewöhnliche Erfahrungsreichtum des Autors überzeugend durch:
Bei den Anfängern nicht am guten Lehrer sparen, da „von den Grundlagen des Unterrichts alles abhängig ist, was darauf
aufgebaut wird. Falsche Gewohnheiten, die in den Anfängen aus Nachlässigkeit
entstanden sind, kann man später nur sehr schwer abstellen und oftmals ist es
unmöglich, sie vollkommen loszuwerden.“
q Die
Grundlagen sind sehr wichtig. Während des ersten Halbjahres bis zu einem Jahr
des Anfangsunterrichts schlägt Hummel eine Unterrichtsstunde täglich vor, da
der Schüler noch nicht fähig ist, sich selbst weiter zu helfen. Wird er zu
lange auf sich selbst angewiesen, kann er sich leicht schlechte Gewohnheiten
aneignen.
q Die
konzentrierte regelmäßige Übung sollte nicht länger als drei Stunden täglich
dauern. Eine längere Übungsdauer stumpft das Gemüt ab und führt eher zu einem
maschinellen, als zu einem begeisterten Spiel. Die Übung sollte im angemessenen
Tempo verlaufen, damit das Spiel nicht unpräzise wird. Ein zu schnelles
Übungstempo führt zu einem unpräzisen und unreinen Spiel.
q Die
Repertoireauswahl sollte sich vertiefen, aber das Interesse des Schülers nicht
abstumpfen. Es ist zu empfehlen, mit dem Studium von inspirativen und
wertvollen Vortragskompositionen anzufangen und der Lehrer sollte den Schüler
nicht zu früh mit sehr anspruchsvollen Aufgaben überbelasten. Die Lehrer sollen
die Schüler nicht ständig auswendig spielen lassen, damit sie Noten lesen
lernen und die Ungenauigkeit und Oberflächlichkeit vermeiden.
q Wichtigist
ein häufiges Vorspielen des Lehrers, dessen Vorbild der Schüler nachahmen
sollte.
q Im
Bereich der rhythmischen Erziehung und bei der Entwicklung der Fähigkeit, ein gleichmäßiges
Tempo zu halten (der Kunst, im Takt zu spielen), empfiehlt sich die Verwendung
eines Metronoms und die Methode der lauten Taktzählung.
q Üben ist
notwendig, bis das Spiel fließend und der Vortrag richtig ist.
q Hummel unterschied
zwischen dem richtigen und dem schönen Vortrag. Der erste Begriff betraf die
handwerklich-technische Bewältigung der Interpretation eines Kunstwerkes, der
zweite bezog sich schon auf ihre höheren – ästhetischen Qualitäten.
Erster Teil
Mehrere Kapitel des ersten Teils der Schule beschäftigen sich mit den
Grundlagen des Unterrichtes von Anfängern. Es werden Fragen der Körperhaltung, der
abgerundeten und ungezwungenen Haltung der Hände, sowie der erleichterte Einsatz
des Daumens auf den schwarzen Tasten erörtert. „Die Muskeln der Hände und Arme dürfen nicht angestrengt werden und
sollen nur in dem Ausmaß angespannt sein, damit sie die Hände und Finger ohne Erschlaffen
halten.“ Es handelt sich um eine ausgezeichnete Empfehlung bezüglich der
angemessenen Aktivität der Hände und Finger beim Klavierspielen, die ein hervorragender
Künstler und Pädagoge auch in der eigenen Praxis beobachtete. „Die flache Position der Finger, ebenso wie
ihre rechtwinkelige Position auf den Tasten sind fehlerhaft“. Das
Grundprinzip bleibt die Ruhe der Hand. „Damit
wir im Spiel die nötige Leichtigkeit, Ruhe und Sicherheit erzielen, müssen wir heftige
Bewegungen von Ellbogen und Händen vermeiden, die Muskeln sollten nicht mehr
angespannt werden, als die ruhige und freie Haltung der Hand verlangt. Die
Beweglichkeit geht von den Fingergelenken aus, die Finger bewegen sich frei und
schnell, und wir dürfen sie nicht zu hoch von den Tasten heben.“
Das erste Kapitel führt eine detaillierte Erläuterung der Versetzungszeichen
an. Das dritte Kapitel erweitert elementare Kenntnisse der Notation im Umfang:
F – g3. Die professionellen Klavierspieler müssen für Zwecke der
Begleitung und des Partiturspiels auch die Sopran-, Alt- und Tenorschlüssel
beherrschen. Bei der Erläuterung der Notenwerte und Pausen wird bei jedem Wert
auch Triolengliederung angeführt. Die Beherrschung des Spiels der Tonleiter
geht von der einfacheren Gegenbewegung beider Hände aus. Die Vorbereitungsübungen
im Quintenumfang werden auf verschiedene Positionen der Tastatur übertragen.
Die Erläuterung der weiteren Notationselemente - Ligaturen, Synkopen, der rhythmischen
Grundlage von Triolen, Quintolen, Sextolen und Septolen, des punktierten Rhythmus
und der Doppelpunktierung, der Tonleitern, der ganzen Töne und Halbtöne, diverser
Metren – illustrieren Notenbeispiele in einer Handposition und in einer
Akkordbrechung, in Arpeggien, Trillern und figurativen Passagen. Beigefügt ist
auch eine Tabelle der Skalen zeitgenössischer Tempobezeichnungen. Wir führen
diese wortwörtlich an:
1.
Grave ø
2.
Lento ð assai
3.
Largo ö
4.
Larghetto ø assai, sostenuto,
5.
Adagio ö non troppo
6.
Andante ð maestoso, non troppo, affetuoso,
grazioso, pastorale, con moto
7. Andantino
8.
Allegretto
9.
Allegro ð con moto, con brio, con spirito, con
fuoco, vivace, agitato,
øfurioso, molto,
assai
10.
Vivacissimo
11.
Presto
12.Prestissimo
Weiter werden angeführt: Tempo
di Menuetto
Tempo alla Polacca
Tempo alla Siciliana
Es folgen Belehrungen über Tempoänderungen, über das Tempo Rubato und
andere Bezeichnungen. Beigefügt ist auch ein kurzes Glossar der italienischen
Musikterminologie.
Die Erläuterung der theoretischen Regeln im Sinne der Traditionen mehrerer zeitgenössischer
Schulen geht auch hier den praktischen Bedürfnissen des Schülers voran. Wir
verstehen diese eher als Anweisungen für den Lehrer, dessen intensive Mitarbeit
natürlich vorausgesetzt wird. Die hohe Anzahl der instruktiven Übungen wurde offensichtlich
dadurch motiviert, dass der Lehrer eine geeignete individuelle Auswahl vornimmt.
Zum Abschluss des ersten Teils finden wir Hummels Empfehlungen für die
schrittweise Auswahl des künstlerischen Studienrepertoires aus den Meisterwerken
von J. S. Bach, G. F. Händel, W. A. Mozart, J. Haydn, M. Clementi, L. van
Beethoven, J. B. Cramer, J. L. Dusík, L. Koželuh, I. Pleyel, J. K. Vaňhal, J.
K. F. Fischer, J. N. Hummel, F. Kuhlau, J. Jelínek, D. Steibelt. Dieser Teil
endet mit den Worten des Meisters:
...„Experientia docet“...
Zweiter
Teil
Dem zweiten Teil der Schule maß Hummel selbst die größte Bedeutung zu. Er
bringt eine systematische Ansicht auf Fragen des Klavierfingersatzes. Die sich
entwickelnde Klaviertechnik, neue Arten von Passagen und Figurationen verlangten
auch die Verwendung neuer Fingersatzgrundsätze. Es sei angemerkt,
dass auch mehrere Grundsätze des chopinschen
Positionsfingersatzes an Hummels Schule anknüpfen, die Chopin in großen Ehren hielt: „Die Hauptsache ist, den guten Fingersatz zu
kennen. Hummel war in diesem Bereich der Gebildetste.“ Zehn
grundlegende Regeln reflektieren neben der älteren Praxis auch neue Fingersatzanforderungen,
die mit der Entwicklung der pianistischen Faktur zusammenhingen:
1) Verschiebung der Hand bei
gleichmäßigen Passagen mit dem gleichen Fingersatz
2) Auslassen von einem oder
mehreren Fingern
3) Daumen-Untersatz und Übersatz
der längeren Finger
4) Fingerwechsel an der gleichen
Taste
5) Umfang der Hand und Sprünge
6) Einsetzen des Daumens und des
kleinen Fingers auf den schwarzen Tasten
7) Übersatz des längeren Fingers
über einen kürzeren und Untersatz des kürzeren Fingers
8) Ineinandergreifen der Hände
und ihre Überkreuzung
9) stummer Fingerwechsel an der
gleichen Taste
10) Aufteilung der Stimmen
zwischen zwei Hände, Freiheiten des Fingersatzes beim polyphonen Spiel
Die o. a. Regeln werden mit einer außerordentlichen pädagogischen
Gründlichkeit an einer Vielzahl von Beispielen demonstriert. Nach den Tonleitern,
Tonarten und Intervallen folgt die Erläuterung der Artikulation, zuerst Staccato
und Portato. Staccato wird von Hummel wie folgt beschrieben:
„Die Finger berühren dabei nur leicht
die Tasten und prallen von ihnen ab, wobei die Hand nicht zu hoch gehoben wird. Bei schnellen Noten werden die
Hände überhaupt nicht gehoben, sondern die Finger werden von den Tasten sehr
schnell in Richtung nach innen gerissen.“ Diese
uralte Technik der Cembalospieler, bekannt schon aus Forkels Beschreibung des
Spiels von J. S. Bach, treffen wir in der Praxis bedeutender Pianisten auch in
den nächsten Perioden an. [1]
Dritter
Teil
Den dritten Teil der Schule widmete der Autor den Verzierungen und den
Fragen des Vortrags. Aus der heutigen Sicht sind die neuen Ansichten zum
Trillerspiel interessant. In Übereinstimmung mit der zeitgenössischen Tradition
teilt Hummel die Verzierungen in zwei Gruppen ein: die erste Gruppe von Ornamenten
wird graphisch mit Sonderzeichen notiert, während in die zweite Gruppe
Ornamente gehören, welche mit kleinen Noten aufgezeichnet werden, was er für
zweckmäßiger hält. Zu den ersten gehören Triller und Umschläge, zu den zweiten
Vorschläge. Die neuen Ansichten auf die Trillerinterpretation betrafen ihren
Anfang. Laut Hummel begann ein Triller immer mit dem Hauptton, anders nur, wenn
ihm eine kleine Note von oben oder unten voranging. Die echten Triller beinhalteten einen Schluss, eine Endung (Nachschlag),
die nicht immer Bestandteil der Notation waren. Als unrichtigen Triller bezeichnete Hummel i. d. R. getrillerte
Noten kürzeren Wertes ohne Abschluss. Schließlich wird noch der sog. gekürzte Triller, mit dem Mordent-
Zeichen versehen, angeführt, aus der Ausführung heraus ist offensichtlich, dass
es sich um einen Pralltriller handelte.
Die o. a. neue Interpretation der Triller vom Hauptton entwickelte sich
bereits an der Jahrhundertwende vom 18. und 19. Jahrhundert als Reaktion auf
die übliche barocke Aufführungspraxis. Hummel argumentierte damit, dass die Interpretation
der Triller von der oberen Sekunde die alte Praxis der Sänger der Vergangenheit
darstellte, die sich allmählich auch in der Instrumentalmusik etablierte und
bemerkte dazu: „wie jedes Instrument, hat
auch das Klavier seine Eigenheiten im Fingersatz, der Handposition, im Spiel
und es gibt keinen Grund, warum die Regeln des Gesangs auch für das Pianoforte
gelten und nicht verbessert werden sollten.“ Hummel nahm sogar an, dass
bereits Mozart vom Hauptton trillerte. Sicher ist jedoch, diese neue Praxis der
Trillerinterpretation aufgetaucht war. In seiner Klavierschule op. 500 wurde
das zu gegebener Zeit auch von Carl Czerny bestätigt. Hummel widmete der
technischen Bewältigung dieses Ornaments erhebliche Beachtung. „Der Triller ist die schwierigste Verzierung,
da er je nach Umständen in einer beliebigen Kombination geeigneter Finger zu
spielen ist. Er muss daher sehr früh geübt werden.“ Zum Einstudieren
empfiehlt er Übungen, die er von Mozart übernommen hat, mit dem Beispiel des
Trillerns von einem Ton in schrittweisen Kombinationen aller Finger der rechten
Hand: 1-2, 1-3, 2-3, 2-4, 3-4, 3-5, 4-5 und umgekehrt; ähnlich auch mit der
linken Hand.
Hummel unterschied den richtigen
Vortrag, als korrekte Reproduktion des Notentextes und den schönen Vortrag, als eine abgerundete, geschmackvolle
Musikdarbietung, angemessen dem Charakter und dem Ausdruck der Musikkomposition.
Es hängt bis zu einem beträchtlichen Maß mit der Fähigkeit des Spielers
zusammen, das zu erfühlen und zu interpretieren, was der Komponist in sein Werk
eingebracht hat. Man kann es eher nur erwecken und verfeinern. „Soweit es sich um die gute und
geschmackvolle Interpretation handelt, kann man diese mit dem Anhören
ausgezeichneter Meister, vor allem Sänger kultivieren. Im Allgemeinen bewerten
die Künstler und Komponisten, die in ihrer Jugend eine gründliche Vokalschule
absolvierten, üblicherweise nicht nur besser eine gute Interpretation, sondern
auch ihre eigene Gefühlswelt ist weitaus lebhafter, angeregter, reicher und
zarter – und eben deshalb sind ihre Werke und Interpretationen so ausdrucksvoll.
Die jedoch, die nur eine rahmenhafte, oberflächliche Vorstellung von schönem Gesang
haben, sind weitaus seltener auch gute, bedeutende Interpreten. Hasse, Naumann,
Gluck, beide Haydns, Mozart und die großartigsten Komponisten aller Zeiten
haben in ihrer Jugend gesungen“.
Der Autor der Schule hinterließ uns hier die damalige Sicht der Lösung von pädagogischen
Aufgaben bei der Entwicklung von Interpretationsfähigkeiten, mit dem Bedürfnis einer
Beherrschung des Feingefühls für die Erzielung reichhaltiger Schattierungen der
Tonbildung - von den feinsten Berührungen mit freier Handhaltung bis zu den
festen, physiologisch aktiveren Arten der Tonbildung. Man muss jedoch dazu
sagen, dass im Kontext der o. g. Entwicklung des Klavierspiels die didaktischen
Methoden im gegebenen Zeitalter noch nicht zu tieferen psychologischen und pädagogischen
Analysen der instrumentalen Umsetzung ästhetischer Musikvorstellungen in ihrer
Bindung an die Entwicklung der nötigen technischen Mittel gelangten. Anregend
bleiben jedoch Hummels pädagogische Anforderungen an die Qualität der Sangbarkeit
der melodischen Linien, Grundsätze des guten und zuverlässigen Fingersatzes und
die Klarheit im Spiel. Zweifellos hatte
Hummel den größten Einfluss auch auf Chopins Ästhetik. Laut Mikulis
Erinnerungen spielte Chopin Hummels Konzert a-Moll auf eine zauberhafte Weise
und gab seinen Schülern oft auch weitere seine Kompositionen zum Studium.
Hummel empfahl u. a. Musikwerke mit Ausrichtung auf
ihren Charakter zu studieren. Der
Spieler soll die Musikcharaktere sowohl der gesamten Werke, als auch ihrer
Teile studieren. Allegro verlangt Stärke, Glanz, Entschiedenheit, Energie, ein
perlendes Fingerspiel. Die sangbaren Stellen sind mit Gefühl zu spielen, jedoch
ohne Tempovänderungen. Adagio verlangt Sangbarkeit, Zartheit, Ruhe, die Töne müssen getragen, gebunden werden, es ist auch
nötig, die Verzierungen feiner zu spielen. Eine relativ ausgeprägte Position
nimmt Hummel zur Frage der Pedalisierung ein; er verlangt die Stiltransparenz,
ausgesuchten Geschmack, die Anpassung an unterschiedliche ästhetische und
Tonideale. Infolge der künstlerischen Kriterien einer Klarheit und Deutlichkeit
des Vortrags war Hummel kein Anhänger einer übermäßigen Pedalisierung, die nach
seiner Meinung eher ein Mittel zur Verdeckung einer fehlerhaften Technik war. Zur Chopins
„neuer Klangwelt“ fehlte nur noch ein „Schritt“,
der jedoch einen beachtlichen Durchbruch zu neuen Klangwelten bedeutete.
Die Schule endet mit den Kapiteln über die Pflege und Stimmung des
Instruments. Schließlich äußert Hummel Ideen über die Improvisation und freie
Fantasie, die eine Begabung voraussetzt, aber auch die Ausbildung des Spielers,
Beherrschung der Harmoniegesetze und die Sicherheit im Spiel. Hummels Schule
ist ein wuchtiges Werk, das Ergebnis einer unermesslichen Fleißarbeit. Es
beinhaltet viel kostbares Material und Erfahrungen. Etliche pädagogische
Grundsätze vereinigt die Überzeugung des Autors, dass nur Zeit, Geduld und Fleiß zur Erreichung des Zieles führen.
Schlußbemerkungen
Der Autor dieses Beitrags hatte in den Sommermonaten des Jahres 1998 die
seltene Gelegenheit, das ursprüngliche Manuskript von Hummels Werk eingehend zu
studieren, konkret seine zwei sorgfältig
in Schönschrift gehaltenen Exemplare, die im Archiv des Stadtmuseums von
Bratislava aufbewahrt werden. Das Werk zeichnet sich durch einen ungewöhnlichen
Enthusiasmus für Systematisierung, Gründlichkeit und das Bemühen, in der
Pädagogik die außerordentlichen Erfahrungen des Autors als Pianist, Komponist
und Improvisator zu verwerten aus. Viele Übungen rufen bei der methodischen
Vorgehensweise offensichtlich auch die spielerische Genialität des Meisters
hervor, man spürt in ihnen sogar seine Spontaneität und Freude am Spiel. Im
Vergleich mit anderen Schulen begegnen wir hier keinen Etüden oder
Vortragskompositionen. Die Übungen sind stufenweise von der elementaren Ebene
bis zur Entwicklung einer Spitzenqualität des Ausdrucks in der Koordination von
Bewegungsgewohnheiten eingereiht. Die Schule repräsentiert gleichzeitig auch
ein bestimmtes Kompendium der instrumentalen Kompositionsstille, sie vermittelt
Hummels klare Vorstellung über die Möglichkeiten des Spielapparates und die
Ästhetik des Klavierspiels, die er selbst als Pianist und Komponist entwickelte.
Als ein musikgeschichtliches Dokument stellt sie den Höhepunkt der Schulen des Wiener
Typs dar und eine organische Verbindung auf dem Weg zur neuen Klangwelt und Klavierkunst
Chopins dar; sie ist gleichzeitig ein bedeutendes Denkmal und eine Quelle zur
Erforschung der Methodologie des Klavierspiels.[2]
Bratislava 30. 5. 2008
Prof. Miloslav Starosta
Prof. Miloslav Starosta
[1] A. Cortot, D. Lipatti, A. Šklovská
verwendete sie sogar als Rehabilitationsmittel bei der Heilung von krankhaften
Zuständen des pianistischen Apparats.
[2]
Text dieser Vorlesung „Johann Nepomuk Hummel, Die Grosse Klavierschule“ von
professor Miloslav Starosta erklang im Rahmen einer wissenschaftlichen
Konferenz „Auf der Spuren von Johann Nepomuk Hummel“ 30.5.2008 in Bratislava
und wurde auch in einem deutschen Sammelwerk im Jahre 2009 publiziert (Edition von Prof. Markéta
Štefková, PhD. – Hummel-Gesellschaft Weimar).